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Pressdruck

Ich trage eine schwarze Kappe, eine lächerliche Sonnenbrille über den Augen und am Leib ein weißes Tshirt mit dem Quantenphysiklogo und der Aufschrift eines Michigan-University Basketballteams, das ich aus der Klamottenkisten meines Bruders geraubt hatte vor einiger Zeit. Keiner von uns ist in Michigan zur Schule gegangen und wirklich Basketball hat nur er gespielt. Aber ich hatte nur noch Jordan-shirts zu der Zeit und da wo ich hinging dachte ich mir wäre ein Unihemd besser. Ich ging nach Beirut. Es war nach dem Abitur, eine Radiostation hatte mich genommen und weil auf allen Kanälen darüber berichtet wurde (dachte ich), hatte ich diesen Schritt gewagt. Oh, I see, you from university, now you a big man, he? werden sie dort sagen, mir mein Visum stempeln und mich einfach weitermachen lassen. Ja, werde ich sagen und, shalak shamla, osä. Darüber werden ihre Zeitungen berichten…

Wenn ich dann in der Stadt ankomme – denn es wird eine Stadt sein –, nehme ich mir ein halbdunkles Mädchen mit auf das Zimmer, das mir die Sprache beibringen soll, dafür kriegt sie von der Hotelbar geliefert. So stell ich mir Beirut erstmal vor. Es hätte schlimmer kommen können, die Soldaten angepißt, das Hotel auch, und das Mädchen dreckig bis widerwärtig. Aber alle waren nett und deshalb erzähle ich ausführlich von meinem glücklichen Tshirt.

Bevor ich von Beirut hörte, fand ich unsere Politik allgemein vertretbar. Als ich dort ankam, setzte sich mein Bild, daß ich im Laufe des Lebens von meinem Land entworfen hatte, aus Versatzstücken dessen, was ich über Kolonialismus gelernt hatte, gefolgt von meinen frischen Ideen von der menschlichen Freiheit, und den Guerillaschnipseln aus Grenada, Nicaragua und Venezuela mehr liberal als sozialistisch zusammen. Und wenn ich das Radio anmache, verstehe ich trotzdem kein Wort. Also bin ich gezwungen zu Aktion. Ich bestelle ein schlaues Mädchen aufs Zimmer, höre mit ihr Radio und sie soll mir die Sprache beibringen. Das wäre das erste Attribut des Abends, damit darf ich jetzt eine rauchen gehn.

Doch es ist eigentlich früher Morgen. Das Meer grüngrau und ein bißchen wild, über den Christen geht die Sonne auf. Ich saß ein paar Tage jeden Tag im Lycee der Jesuiten und fragte dort, wie die Einheimischen es mit Sprachunterricht hielten und ob mein Mädchen von der Straße eine gute Idee sei. Ich bin mit nur wenigen Ideen für die Zeit in diese Stadt gekommen, die wie ich jetzt weiß zum Libanon gehört, nachdem sie bis 635 eine bedeutende römische Provinzstadt gewesen und Teil des osmanischen Reiches und in unseren Zeiten lange im Bürgerkrieg lag. Die Fläche beträgt um hundert Quadratkilometer, das ist so groß wie Pankow, in Pankow leben 400.000 Menschen, in Beirut zwei Millionen. Das ist etwas mehr. Sie leben durchschnittlich nicht so komfortabel. Pankow ist noch sehr grün, hier ist es eher sandig, stark bebaut, aber genau am Wasser. Das Mittelmeer macht gute Laune. Den Türken, den Griechen und auch den Libanesen. Als Alexander der Große einmal ein paar Schiffe verloren hat, soll er gesagt haben, ach, ca., nich so schlimm, da wachsen neue.

Das mit den Mädchen sei eine gute Idee, sagten die jungen Schüler, sie selbst kamen von Eltern her, die diesen Umgang wohl weniger gern sahen. Das französische Gymnasium wurde nach dem Ersten Weltkrieg von Jesuiten gegründet, ich werde mich nach dem -Völkerbundmandat- noch erkundigen müssen, die Gecken wissen darüber vielleicht bescheid. Also lerne ich jdfs. mit ihr die Landessprache am Radio, um mich in der Stadt bewegen zu können. Sie besucht mich, wenn ich von der Schule komme und bringt Datteln mit, das ist klar. Ich habe ihr noch kein Namen gegeben, aber ich glaube, sie wird irgendwann Sara heißen, es wird sich herausstellen, daß sie gar keine Libanesin ist sondern ein linker Zionist, der Israel von der Ferne aus dem Untergrund, aus dem Ausland -unterminieren- will. Dafür werde ich ihr noch etwas Zeit geben, sie hat genug französische Literatur gelesen, um was von langsamer Aufklärung zu verstehen. Ferner bin ich dabei, die Radiostücke, die der Sender von mir verlangt, öffentlichkeitstauglich zu bearbeiten. Es handelt sich erstmal um kleinere pieces,die von dem Alltag der Menschen handeln. (In dieser Stadt.) Ich gehe über die Märkte, sammle Stimmen die ich nicht verstehe und ordne sie meinen Bildern zu, mache Aufnahmen im Kino, wo es sehr laut ist neben dem Film, ich begleite eine Rockband bei ihren Auftritten. Es scheint ein besser gestellter Sender zu sein, ich komme mit meinen nur nach dem Klang zusammengeschnittenen Arbeiten sehr gut durch, ohne viel zu verstehen. Dazwischen spielen sie europäische Musik und die Beiträge, die ich verstehe, handeln hauptsächlich über Fitness, Wellness, russische Ikonen, französischen Wein und Weinberge und eine Liebe im Elsaß.